34 Jahre Stellwerk
Eine kleine Zeitreisevon Ulrich „Balrok“ Kelbert
Wie alles begann.
Am 11. Oktober 1988 eröffnete die Gaststätte neben dem Bahnhofsgebäude in Schelklingen erstmals unter dem Namen Stellwerk.
Die ehemalige Bahnhofs-Gaststätte im Besitz der Goldochsen-Brauerei aus Ulm erfuhr hiermit eine grundlegende Verwandlung. Aus einem normalen Gasthaus wurde eine Kleinkunstkneipe.
Zunächst zu Dritt, waren wenig später nur noch Hans „Festl“ Wild und Martin Siegmund übrig, um aus dem Stellwerk ein Treffpunkt und ein Zuhause zu machen.
Kleinkunst, das hieß Konzerte von regionalen, aber auch überregionalen Bands. Es war aber auch immer eine Bühne für unbekannte Interpreten, denen die beiden z.B. bei „Wer kann der Darf“ immer eine Chance gab. Aber es gab nicht nur Konzerte, sondern auch Vorlesungen, Zauber- und Zirkusshows, Theatervorführungen für Kinder und vieles mehr standen auf dem Programm. Außerdem gab es wechselnde Bilderausstellungen von regionalen Künstlern. Nicht zu Vergessen der Flohmarkt, der jeden Sommer zum Ende der Schulferien stattfand.
Auch kulinarisch hatte das Stellwerk so einiges zu bieten. Neben selbst gebackenen belegten Seelen gab es die legendäre Stellwerk-Pizza. Denn hierzu gab es den „PiWu“, den Pizza Wunschzettel. Das Konzept war so simpel wie genial. Man konnte sich einfach durch Ankreuzen der Zutaten seine Wunschpizza zusammenstellen.
Im Sommer 1991 blieb dann nur noch "Festl" übrig, der die Kleinkunst in Schelklingen am Leben hielt, nachdem sich Martin Siegmund anderweitig orientierte.
Von 1994 bis 1997 hatte das Stellwerk dann auch eine eigene Zeitung. Den „Stellwerker, Das Organ der schweigenden Masse“, von Gästen, für Gäste. Dieser kam auf 9 Ausgaben und erschien vierteljährlich.
Und seit 2005 gab es dann noch das alle zwei Wochen stattfindende Stellwerk Quiz „Frag den Wirt“, ursprünglich mit Oli Däubler als Quizmaster.
Um unabhängiger zu sein z.B. bezüglich Pacht usw., wollte Festl das Stellwerk kaufen. Dies war damals jedoch nicht zu seinen Bedingungen erwerbbar. Deshalb kaufte er 2008 das ehemalige „Cafe Vier“ in Blaubeuren, um daraus „Das Fröhliche Nix“ zu machen, ebenfalls eine Kleinkunstkneipe.
Nun war es Zeit für ihn, den Staffelstab endgültig abzugeben, um sich auf das Nix zu konzentrieren und an Andrea, die Fahne der Kleinkunst in Schelklingen oben zu halten.
Festl nimmt Abschied, Andrea Sieger kommt.
So stieg am 22. August 2010 stieg dann die letzte Party von Hans „Festl“ Wild im Stellwerk.
Nach dem Abschied von hans Wild, startete Andrea erst einmal ein paar Renovierungsarbeiten. Das dreiteilige Deckengemälde von Berthold Fischer war hierbei die wohl auffälligste Veränderung, die das Stellwerk bei der Neueröffnung zu bieten hatte.
Das Konzept lies Andrea unverändert. Konzerte (jetzt ein wenig rockiger) oder andere Veranstaltungen am Wochenende und wechselnde Bilderausstellungen. Auch das Stellwerk-Quiz, das seit zwei Jahren im Wechsel mit dem Kneipenquiz im Fröhlichen Nix stattfand. Jetzt jedoch unter dem Namen „Frag die Wirtin“
Auch der allseits beliebte Pizza Wunschzettel und der Alljährliche Flohmarkt blieb den Stellwerkgästen erhalten.
Gold Ochsen investierte nun jährlich in verschiedene bauliche Projekte, um das Gebäude Aufzuwerten. Neben einer neuen Heizung, neue Fenster und ähnliches, war vor allem der Bau der Terrasse im Sommer 2012 ein Highlight fürs Stellwerk. Das gab der Kulturkneipe ein neugewonnenes "Biergarten-Feeling", das nicht zuletzt Radfahrer zum Bleiben einlud. Auch die Möglichkeit, nun Open-Air Konzerte zu veranstallten, wurde von der Wirtin begeistert aufgenommen.
Ein neues Zugpferd wurde auch die Boule-Bahn, die Andrea unter maßgeblicher Beteidigung von "Charlie" Angerer, einem der Stammgäste des Stellwerks, neben der Terrasse einrichtete.
Am 10. Juli 2015 beendete Andrea Sieger den Pachtvertrag, um sich wieder gezielt ihrem Hauptberuf zu widmen. Die Zukunft des Stellwerks war sehr ungewiss.
Das HGS³ übernimmt.
Am 29. November 2015 eröffnete das Stellwerk³ unter der Regie des neu in Schelklingen entstandenen Hotels HGS³. Nach enormen Umbauarbeiten, denen unter Anderem der Aufbau über der Theke und die Bühne zum Opfer fiel, gefällt nicht jedem alten Gast. Auch die Kronleuchter, die nun von der Decke hiengen, waren mehr als gewöhnungsbedürftig.
Unter Leitung der Hotelbesitzerin des HGS³, Ute Krey, und der von Ihr eingesetzten Jenny, die als Wirtin fungierte, änderte sich auch das Konzept des Stellwerks. Da nun im Hotel Bilderausstellungen stattfinden sollten, war hierfür im Stellwerk kein Platz mehr. Doch auch Konzerte waren nun Mangelware, trotz mobiler Bühne, die bei Bedarf auf und abgebaut werden konnte.
Auch kulinarisch änderte sich das Stellwerk nicht zum Besseren. Nicht nur, dass es keinen Pizza Wunschzettel mehr gab, viel schlimmer. Das Essen, Baguettes, Wurstsalat und ähnliches wurde im Hotel vorbereitet und dann ins Stellwerk gebracht, und aufgebacken.
Die Neuen
Im Mai 2018 wurden dann Geli und Till Adler eingestellt, um das Stellwerk wieder zu dem zu machen, was es einst war.
Doch viele Stammgäste hatten dem Stellwerk inzwischen den Rücken gekehrt. Das verschwundene Vertrauen wieder herzustellen, war nicht einfach.
Zunächst war es wichtig, wieder im Stellwerk zu kochen. Den Gästen vernünftige Gerichte anbieten. Doch was ist eine Kleinkunstkneipe ohne Live-Musik? Also sorgte Till dafür, dass wieder regelmäßig Konzerte im Stellwerk stattfanden.
So erblühte das Stellwerk innerhalb von zwei Jahren wieder zu neuem Leben. Doch Corona sollte Dem ein Ende machen. Das HGS³ gab das Stellwerk auf. Der Pachtvertrag wurde Seitens des Hotels nicht verlängert.
Am 22. November 2020 verabschiedete so sich Familie Adler nach zweieinhalb Jahren und das Stellwerk nach 32 Jahren in eine ungewisse Zukunft.
Ein neuer Anfang – Till und Geli sind zurück
Am 5. Dezember 2022 war es dann endlich so weit. Das Stellwerk öffnete wieder seine Pforten. Nachdem Till und Geli Adler im Sommer 2022 das Kiosk im Freibad Schelklingen erfolgreich betrieben hatten, waren die Beiden die Wunschkandidaten der Brauerei zur Weiterführung des Stellwerks. Und auch die Gäste im Freibad waren begeistert, als sie hörten, wer sie in Zukunft im Stellwerk bedient.
So versprechen uns Till und Geli auch in Zukunft Kunst, Kultur und gutes Essen im Stellwerk.
Es spielte schon im Stellwerk:
Grachmusikoff
The Jack
Michael Mittermeier
Dust Bolt
HISS
Willi Michl
Teatre du Pain
Stoppok
Klaus der Geiger
Zarate
...und viele mehr!
Von der Wohngemeinschaft zur Kneipe - Das Stellwerk Schelklingen
von Hans „Festl“ WildAm Anfang waren wir eine Gruppe von neun Leuten, die beschlossen ein Domizil zu suchen, das Kleinkunst, Kneipe und Leben irgendwie miteinander verbindet. Und wie das dann so ist: Überm Suchen ist die Gruppe immer kleiner geworden. Ein Ort war dem einen zu weit weg, der andere hatte auf einmal doch keine Zeit mehr und so fort. Schließlich sind wir zu dritt im „Stellwerk“ in Schelklingen gelandet, einem kleinen Fachwerkhaus, das seit Jahr und Tag die Schelklinger Bahnhofs-Gaststätte beherbergte und der größten, lokalen Brauerei „Gold Ochsen“ auf dem Gelände der Bahn gehört.
Irgendwie gefiel der Brauerei unsere Idee der Kleinkunstkneipe – auch wenn wir sie regelmäßig ganz schön geschockt haben; z.B. als wir die wertvolle, dunkle Mahagoni-Holzverkleidung einfach bunt anstreichen wollten. Und doch haben sie sich schließlich auf einen grundlegenden Stilbruch in der Innenausstattung eingelassen. Im Rückblick bin ich dankbar, dass wir von der Brauerei in manchen Dingen auch gelenkt und freundlich beraten wurden, denn wir hatten damals keine Ahnung von Gastronomie. So zum Beispiel bei der Namensfindung. Eine Umfrage im Freundeskreis brachte Vorschläge wie »Vive la trance« oder »Zyankali Schorsch« zutage, was uns durchaus amüsierte. Der in Zusammenarbeit mit „Gold Ochsen“ gefundene, eher neutrale Name »Stellwerk« hat uns dann davor bewahrt, bestimmte Vorurteile durch unseren Namen in das Ulmer Umland und in die Welt zu tragen.
Nach 20 Jahren Kleinkunstkneipe wollten wir der Brauerei-Abhängigkeit ein Ende setzen und hätten das Haus gern gekauft. Da das zum damaligen Zeitpunkt nicht möglich schien, sind wir nun mitten in der Altstadt im Nachbar-Ort Blaubeuren gelandet und treiben dort als „Fröhlicher Nix“ unser Unwesen. Also im positiven Sinne. Das „Stellwerk“ in Schelklingen ist aus meiner Sicht ein sehr originelles Haus, das es verdient weiterhin betrieben und besucht zu werden. Sein hübsches, äußeres Erscheinungsbild mit Freiluft-Terrasse direkt an den Bahngleisen lädt zum Verweilen ein. Für uns erwies sich die Lage damals als ideal – auch wenn Bekannte und Freunde uns erstmal für verrückt erklärten: »Schelklingen, geht’s noch?!« Und es bleibt eine gute Erinnerung, daß sich hier Künstler wie Michael Mittermeier, Vince Ebert, Claus von Wagner oder der Ausnahmemusiker Stefan Stoppok, die Klinke in die Hand gegeben haben. Im Stellwerk kann man immer noch nachmittags einen Kaffee und abends ein Bier trinken und die Bands spielen lauter als im fröhlichen Nix.
Der Autor ist gelernter Konditor und hat vor 30 Jahren seinen Job an den Nagel gehängt, um sich ganz dem Aufbau der Kleinkunst-Kneipe »Stellwerk« zu widmen
Konzertfotos